Israel und die Veränderungen

Ungläubiges Staunen sowie ein leicht bänglicher Optimismus: Das sind ganz wesentlich jene Reaktionen, denen die dramatischen Wandlungen in der arabischen Welt Nordafrikas und des Nahen Ostens beim westlichen Publikum begegnen. Was mit dem Sturz des tunesischen Diktators Ben Ali Mitte Januar begonnen und sich mit dem Rückzug Hosni Mubaraks in Ägypten fortgesetzt hatte, sorgt nun in Libyen, Jemen, Bahrain und andernorts für Reform- oder zumindest Veränderungsdruck. Wird dies – von den Herrschenden abgesehen – zumeist und bisweilen gar mit euphorisch-gewagten historischen Vergleichen begrüßt, so scheint ein Staat der Region in seiner Bewertung der Ereignisse eindeutig aus der Reihe zu tanzen: Israel ist alles andere als freudig erregt und hoffnungsvoll, vielmehr betroffen und besorgt.

 

Waren die Entwicklungen in Tunesien – ob der geopolitischen Distanz – in Israel noch mit mäßiger Aufmerksamkeit und geringer Betroffenheit verfolgt worden, so änderte sich dies mit dem Beginn der Demonstrationen auf dem Kairoer Tahir-Platz und ersten Meldungen über Unruhen im Nachbarstaat Jordanien grundlegend. Plötzlich sah man sich – dies die meistverwendete Metapher – „im Auge des Tornados“. Die Befürchtung, dass es in jenen beiden Staaten der arabischen Welt, mit denen Israel in den zurückliegenden drei Jahrzehnten Friedensverträge geschlossen hatte, zu einer Ablösung des Friedens kommen könnte, stand plötzlich vor aller Augen und löste große Betroffenheit und Argwohn aus. Wenn man diese Reaktion der politischen Elite Israels und der jüdischen Durchschnittsbürger verstehen und nachvollziehen will, so muss man sich einige grundlegende Parameter israelischer Politik bewusst machen. Seit der Staatsgründung Israels vor mehr als 60 Jahren, die aus israelischer Sicht Ergebnis eines „gegen eine Welt von (arabischen) Feinden“ siegreich geführten „Unabhängigkeitskrieges“ war, sieht sich der mehrheitlich jüdische Staat in seiner schieren Existenz durch Ablehnung und Feindschaft seiner unmittelbaren Nachbarn bedroht. Aus dem subjektiven Gefühl konstanter Bedrohung, die nicht im Kontext eigenen politischen Handeln gedeutet und analysiert, sondern ausschließlich als Konsequenz eines Antizionismus und Antisemitismus in der arabischen Welt verstanden wird, erklären sich auch die Beurteilungskategorien, die Israels Öffentlichkeit und politische Klasse den Veränderungen im näheren oder weiteren politischen Umfeld zugrunde legt. Ganz in der Tradition dieses auf die eigene Befindlichkeit fokussierten politischen Denkens und Bewertens wird nun in Israel die sich abzeichnende Veränderung im arabischen Raum mit unverhohlenem Argwohn beobachtet. Auch wenn man wusste, dass die autokratischen Regime in Ägypten und Jordanien lediglich einen „kalten Frieden“ verwalteten, so hatte der israelische Pragmatismus sich mit denjenigen Herrschern arrangiert, die man als Partner Israels oder zumindest als Gegner des Erzfeindes Iran einstufen konnte.

 

Die Herausforderung des „Pharaos“ durch eine junge und weltoffene Demokratiebewegung wurde nun nahezu ausschließlich als Gefährdung des bestehenden Ist-Zustandes, ja als Aufgalopp für neue Bedrohungsszenarien interpretiert. Es sei genauso wie 1978/79 im Iran: Erst habe sich die Revolution einen bürgerlich-säkularen Anstrich gegeben, bis sich dann letztlich das islamistische Mullah-Regime mit seinen antizionistischen Tiraden durchsetzen konnte. Aus dieser Sicht der Ereignisse im arabischen Raum und des sich aus ihnen für Israel ergebenden Bedrohungspotenzials wird verständlich, warum das offizielle Israel den sich abzeichnenden Veränderungen so zurückhaltend bis negativ gegenübersteht. Natürlich gibt es in der – nach wie vor bunten – veröffentlichten Meinung Israels auch Stimmen, die daran erinnern, dass auch die arabischen Völker das Recht auf eine von ihnen offenkundig angestrebte freiheitlich-demokratische Entwicklung haben, und dass die israelische Demokratie mit Demokratien in ihrem Umfeld werde besser auskommen können als mit Autokratien. Aber diese Stimmen, so rational und überzeugend sie daherkommen, werden aus der Sicht der überwiegenden Mehrheit der israelischen Bevölkerung rasch als aus der „linken Ecke“ kommend abqualifiziert. Angesichts der Aufbruchsstimmung in der arabischen Welt und des vorsichtigen Optimismus in den befreundeten Staaten des Westens wird in der israelischen Öffentlichkeit immer häufiger die geistige Blockade der politischen Elite des Landes problematisiert. Ist Hoffnung in Sicht, dass diese Geisterfahrt gegen den epochalen Wandel, die nur die Gefahren, nicht aber die Chancen der Veränderungen wahrnehmen möchte, zu ihrem Ende kommen könnte?

 

Auf die Antworten von Herrn Dr. Hans-Georg Fleck hierzu sind wir sehr gespannt!

Veranstalter


Villa Lessing e.V.

Mitwirkende:

Dr. Hans-Georg Fleck
Projektleiter Israel und Palästinensische Autonomiegebiete
Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

 

Moderation

Otto Deppe
Freier Journalist

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